Eine Ausflucht
für elektronische Klavierklänge
Aus dem Versuch, ein strikt organisiertes und durchkomponiertes Stück zu schreiben, flüchte ich in die Weite der digitalen Verfremdung. Das Ausgangsmaterial aus algorithmisch erzeugten Strukturen und Aufnahmen eines Selbstspielklaviers wird nun dazu verwendet, nach dem Verhältnis zwischen der Unmissverständlichkeit des Klaviers und meiner fehlerhaft elektronischen Ästhetik zu forschen.
Hintergrund
Die Idee für ein Klavierstück fusste in einer intensiven Beschäftigung mit Karlheinz Stockhausens Mantra (1970) für zwei Klaviere und Live-Elektronik. Inspiriert von einer rund dreistündigen Analyse und Erklärung, welcher der Komponist 1973 in London präsentierte, begann ich die Konzeption eines elektronisch angereicherten Klavierstücks.
Konzept
Für das Auskomponieren des Stücks entwickelte ich einen technischen Prozess weiter, welcher in Mantra zur Manipulation des ursprünglichen Reihenmaterials zum Einsatz kommt. Nämlich wird die gleichschwebend temperierte chromatische Skala auf einen Abstand, welcher grösser als zwölf Noten pro Oktave ist, gestreckt. Wenn die neue «Oktave» zum Beispiel der dreizehnte Halbton nach dem Grundton ist, muss zwingend ein Schritt der Skala (welche immer noch zwölf «Stufen» hat) erhöht sein. Stockhausen verwendete in seinem Stück dreizehn solche Expansionen, welche er ausschreiben musste. Ich realisierte, dass dies ein ideales Anwendungsbeispiel für den euklidischen Algorithmus ist, mit welchem eine balancierte Verteilung gefunden werden kann.[1] Mithilfe eines selbstentwickelten Tools und primitiven algorithmischen Strukturerzeugern machte ich mich an die Komposition.
Umsetzung
Die oben beschriebenen algorithmischen Transformationen wurden in Python und Max/MSP umgesetzt (pyext). Den euklidischen Notentransformationsprozess habe ich inzwischen in ein External gepackt, welches im Anhang mit Quellcode beigefügt ist.
Die ursprünglich geplanten Aspekte des «Durchkomponierens» wurden mangels Erfahrung mit zeitgenössisch-klassisch inspirierter Komposition zur Seite gelegt.
Stattdessen nahm der Arbeitsprozess einen «Jam»-Charakter an, als ich begann, mit meinen Tools zu improvisieren. Aufnahmen vom Selbstspielklavier und digitalen Klavier wurden in Ableton Live extensiv mit selbstgebauten Max4Live-Geräten manipuliert und neu angeordnet.
Die ursprüngliche Version des Stückes wurde in Stereo abgemischt. Für eine spätere Präsentation des Stückes wurde ebenfalls ein 5.1-Fassung erstellt., welche auf Anfrage verfügbar ist.
Aufführungen
- 18/01/2019 – à suivre #34, Hochschule der Künste Bern
- 08/06/2019 – next generation 8.0, ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe
[1] Oft wird dieser Algorithmus in der Musik zur Generation von Rhythmen verwendet, siehe auch Gottfried Toussaint The Euclidean Algorithm Generates Traditional Musical Rhythms